Private Tagebücher und eine Entscheidung

Dankbar lebt meine fast 90-jährige Schwiegermutter trotz ihrer begrenzten Erinnerung und Sprache. Als sie völlig funktionstüchtig war, rannte sie mit eiserner Faust in ihr Haus und sorgte dafür, dass alles und jeder an seinem Platz war. Die Unordnung hat sich in den letzten vier Jahren langsam aufgebaut, als ihr erster Schlag sie unfähig machte, ihr Haus und ihr Leben zu organisieren. Voraussehend, dass eine Zeit kommen könnte, in der sie noch mehr Unterstützung als ihre derzeitige tägliche Bezugsperson benötigt, ist mein pragmatischer und logischer Ehemann entschlossen, diesen zukünftigen Übergang zu erleichtern, indem er in ihrem Haus eine Schublade nach der anderen durchgeht, um das Unwesentliche auszusortieren: veraltete Belege, abgelaufene Bibliotheks- und Kreditkarten und alte Schmuckstücke, deren Nickel-Anlauf fast unkenntlich geworden ist. Heute jedoch fand er auch einige Gedanken seiner Mutter, die er auf kleine Stücke aus gefaltetem, verblichenem liniertem Papier kritzelte. Eine Notiz spiegelte ihre Frustration über ihren inzwischen verstorbenen Ehemann, meinen Schwiegervater wider, dessen fürstliche Großzügigkeit von Geist und Geduld nur dazu diente, ihre eigene Verzweiflung und ihren Ärger zu steigern. Eine andere Überlegung kam von einem möglichen Vortrag oder vielleicht sogar einer Therapiesitzung und erinnerte sie daran, ihre dunklen Gedanken durch sonnigere zu ersetzen: ein Kunstwerk, Musik, alles andere als ihre Probleme. Weil meine Schwiegermutter selten ihre innersten Gefühle teilte, fühlte ich mich peinlich, fast voyeuristisch, Sätze zu lesen, die nicht für meine Augen bestimmt waren. Zur gleichen Zeit wuchs mein Mitgefühl für eine ältere Frau, die einmal ähnliche Gedanken trug, die ich auch mit meiner Feder vermint habe. Nachdem ich die Fragmente eines Lebens zusammengelegt hatte, hörten mein Mann und ich auf zu lesen und stimmten zu, dass wir sie nicht behalten würden.

Was mir jedoch davon abhing, das Schreiben meiner Schwiegermutter zu finden, war eine Entscheidung über meine eigene, von der viele meine inneren Kämpfe beschreiben: Enttäuschungen, Meckern und oft falsche Annahmen. In Zeitschrift auf Zeitschrift füllen meine handgeschriebenen Einschätzungen meines täglichen Lebens die linierten Seiten von vielfarbigen gesprenkelten Kompositionsbüchern sowie einige elegante, ledergebundene Zeitschriften, die von denen geschenkt werden, die wissen, dass meine Lieblingsbeschäftigung neben dem Lesen Schreiben ist. Diese schriftlichen Erzählungen füllen zwei Regale in einem Kabinett in meinem Büro.

Jahre sind vergangen, ohne eines zu öffnen; Doch heute, nach meiner Rückkehr aus dem Haus meiner Schwiegermutter, öffne ich sie alle. Ich sitze zwischen den Stapeln von Tagebüchern, die Schnipsel meiner Vergangenheit enthüllen, die oft eine jüngere Frau, Tochter oder Mutter widerspiegeln, die in Unruhe sind über Entscheidungen, die ich treffen musste, oder die, die ich nicht gut genug behandelte. Ich beschreibe meine Verärgerung und Unzufriedenheit mit meinem zwanzigjährigen Mann; jetzt, zwei Jahrzehnte später, ist keine dieser Verschärfungen mehr bemerkenswert oder einprägsam. Andere Schriften zeigen eine Tochter mit gebrochenem Herzen, die den Anruf wiedererzählte, als mein Bruder mir erzählte, dass mein Vater gestorben war. "Ich werde gleich da sein", antwortete ich benommen und machte bereits die notwendigen Flugzeugreservierungen in meinem Kopf. Solche Verluste wurden gefangen genommen, aber auch die Triumphe: die Hochzeitspläne meines ältesten Sohnes und, später, mehrere Zeitungen, die Ankündigung, dass ich eine Großmutter sein würde.

Alle meine Sätze fangen meine Essenz im Moment meines Schreibens ein, doch sie sind nur Schnappschüsse, ein unvollständiges Bild von der ganzen Person, die ich war und immer noch bin. Wenn Paragraphen meine Wut über meinen Ehemann, meine Mutter und meine Söhne zu irgendeinem gegebenen Zeitpunkt aufdecken, wird der zukünftige Leser niemals wirklich von meiner ungezügelten Freude und ewigen Liebe für sie erfahren. Ich möchte nicht, dass meine aufgezeichneten Gedanken für andere eine Last werden, wenn sie auf meine persönlichen Geschichten stoßen. Ich möchte nicht, dass eines meiner Kinder oder gar Enkelkinder aus meiner geheimen Welt der Worte, die nur für mein Herz bestimmt sind, etwas über mich erfahren. Also schließe ich langsam, mit Rücksicht auf mein früheres Ich, meinen Aktenvernichter an.

Barbara Jaffe/Blogger
Vier von Barbaras unzähligen Tagebüchern
Quelle: Barbara Jaffe / Blogger