Eine Fabel über das Altern

Mein Freund Doug Germann hat mich eingeladen, eine Fabel über das Altern zu schreiben.

So tat ich.

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Eine Fabel über das Altern

Dawn hat einen imaginären Freund. Sie nennt ihn "Mort".

Mort ist ihre beste Freundin. Ihr lustigster, weisester, freundlichster Freund. Der beste Freund, den man sich vorstellen kann. Denn Dawn ist eine sehr gute Vorstellungskraft.

Mit ihr wächst auch Mort. Er wird immer realer. Und komplexer. Und weiser.

Er allein kann ihr helfen, die schwierigen Dinge zu verstehen, zu akzeptieren und zu schätzen. Dinge wie Traurigkeit, Angst, Schmerz, Leid, Trauer.

Er öffnet jeden für sie, jeder wird für sie eine andere Tür ins Leben.

Als Dawn älter wird, kommen sie und Mort immer näher zusammen, und Dawn (die sich selbst in "Eve" umbenannt hat) wird auch weiser, akzeptierender, besser in der Lage, die zerbrechlichen Wahrheiten des Lebens zu schätzen.

Und wie alle von uns, die das Glück haben, ein langes Leben zu führen, wird sie sehr alt. Alter, sogar. Je älter sie wird, desto weiter reisen sie und Mort an den Rand der Gesellschaft.

Immerhin ist sie hier eine "alte Person". Und ihre beste Freundin ist imaginär.

So werden ihre Abenteuer immer einsamer. Und wunderbar. Und wundersam.

Für ihre Freunde und Familie scheint sie weniger kohärent, weniger logisch, distanzierter. Für sich selbst wird die Welt immer schöner, komplexer und kostbarer.

Mort zeigt ihr, wie der Tod eine Lebenskraft werden kann, ein Tor zu immer größeren Wahrheiten.

Sie verbringt mehr Zeit in stiller Gemeinschaft mit dem Leben und mit Mort.

Ihre Träume, Phantasien und Erinnerungen werden lebendiger, verschmelzen, vermischen sich, erschaffen einander neu.

Mort transformiert sich auch. Manchmal ist er eine Frau, manchmal ein Mädchen, manchmal ein Pferd, manchmal ein Rennwagen, manchmal ein Lied. Und Eva stellt sich immer dasselbe vor. Immer ein Mädchen. Immer spielen.

Sie und Mort werden größer, noch näher.

Als Mort sie dazu bringt, die Welt zu verlassen, lernt Eva, immer mehr von der Welt hereinzulassen. All ihre Gedanken und Träume werden lebendiger, ihre Sinne akuter und mehr innerlich. Die Entfernung zwischen ihr und Mort schrumpft ins Nichts.

Und sie stellen sich einander für immer vor.

(ursprünglich auf Deep Fun erschienen)